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Ikarus 2.0
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Gar nicht so lange her hatte ich einen Traum … Es ist nichts Besonderes einen Traum zu haben. Aber wenn man nur selten träumt, oder sich sonst an keinen Traum erinnern kann, dann ist so ein Erlebnis durchaus nennenswert. Ich war noch ein Kind in meinem Traum und trotzdem habe ich mich um ein halbes Jahr altes Kind gekümmert. Ich nahm dieses Kind im Kinderwagen überall mit und ich sorgte für das Kind, doch das wuchs nicht. In der Nähe unserer Wohnung, die wir damals bewohnten, befand sich ein gepflegter Kinderspielplatz. Dieses Paradies mit allen möglichen Klettergerüsten, Rutschen, einem Bolzplatz, Fahrrad- und Rollerverleih, war in eine Parkanlage eingebettet. Ich liebte es, dort zu spielen, klettern und mit dem Roller zu fahren.

Irgendwann verdiente ich mir durch das fehlerfreie Aufsagen des ›Einmaleins‹, einen Luft bereiften Roller. Es war für mich das Sinnbild für Freiheit und Mobilität. Stundenlang fuhr ich durch die Straßen der Großstadt, neugierig alles selbst zu erkunden und sich über alles und jedes ein eigenes Bild zu machen. Doch in meinem Traum hatte ich weiße Flügel und kletterte nach ganz oben auf dem Klettergerüst. Von dort genoss ich einen fantastischen Überblick über den gesamten Park und den Spielplatz … Doch dann stützen mir Erwachsene meine Flügel und drückten mir den Kinderwagen wieder in die Hand. Ich war sehr betroffen, aber nicht in der Lage mich zu wehren, was zu sagen oder etwa zu weinen … Ich zog weiter mit dem Kinderwagen und sammelte heimlich jede Feder die ich fand, egal welcher Größe oder Farbe. In der abendlichen Stille und Leere des Spielplatzes sah ich mir die einzelnen gesammelten Federn aufmerksam an und versuchte sie behutsam zwischen die gestutzten Flügelfedern zu stecken. Mit der Zeit waren die Flügel immer bunter und immer voller. Irgendwann traute ich mich, einen Flugversuch von der höchsten Stelle des Klettergerüsts, zu wagen. Der kurze Augenblick der Wonne der Freiheit und des Losgelöst-Seins, war überwältigend. Auch, wenn es nur bis auf den Boden reichte. Es war ein Anfang. Dann sah ich mein nachfolgendes Leben, wie in einem Zeitraffer. Doch ich trug die gefundenen Federn, behutsam verpackt, immer bei sich. Bis ich mich irgendwann als ältere Dame an einem Tisch sitzend und mit einer der größten Feder schreibend sah …

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Ich habe die Botschaft verstanden. Ich war zehn Jahre alt, als meine Mutter plötzlich verstarb. Einem fröhlichen sorgenlosen Kind wurden die Flügel gestutzt, die Leichtigkeit genommen, und es musste Pflichten wie ein Erwachsener übernehmen. Das Kind im Kinderwagen war die Un-Reife und meine unbeholfenen Bemühungen diese Aufgabe selbst zu bewerkstelligen. Die Federn verstand ich als Sinnbild für die Freiheit, Ideen, Träume und das erworbene Wissen, um diese umsetzen zu können. Am Ende des Traums konnte ich diese Ikarus Träume durch das Schreiben verwirklichen.

Es ist gut, die Federn zu bewahren. Irgendwann werden sie alle deine Ideen und Träume, wenn du es zulässt, beflügeln und dich befähigen wirkliches Glück in Freiheit und ohne Absturz, zu genießen …

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