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Das Blühen im Herbst des Lebens ...

»Der Herbst ist ein zweiter Frühling, wo jedes Blatt zur Blüte wird.«

                                                                                                                 Albert Camus

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Das Telefon klingelte. Es klang schrill und ungeduldig.

›Ich sollte den Rufton jetzt wirklich ändern … Es nervt inzwischen‹, dachte ich auf dem Weg zum Telefon. Auf der anderen Seite meldete sich eine Bekannte, von der ich schon dachte, sie sei verschollen. ›Sie lebt noch … Gott sei Dank! ‹ Ich lächelte zufrieden.

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»Na? Wieder mal im Lande? «, fragte ich interessiert, um ihr ein breites Spektrum an Antwortmöglichkeiten einzuräumen. Sie nahm den Ball dankend auf … Leider …

 

»Gut, dass du danach fragst … Von wegen ›im Lande‹! Ich bin

froh, dass ich noch lebe!! Du kannst dir nicht vorstellen, was inzwischen alles passiert ist. Du weißt doch … meine Hüfte und dann noch die Galle … Dann hatte ich eine Kolik nach der anderen, wie bei meiner Mutter damals … Du weißt schon! Die Petra kennst du noch? ... Die hat es im Kreuz erwischt!! Jesus … naa ... Die tauschen ihr da was aus… Aber mein

Mann ... Der hat doch noch … du weißt, dass er mit der Pros...«

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«…Ja, so genau wollte ich das nicht wissen…«. Wollte wirklich nichts über seine Prostata wissen. Wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn noch kannte. Plötzlich hatte ich das Bild eines gebrochenen Mannes vor meinen Augen…

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»Und wie geht es dir so? Wir haben uns… Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen…? «, fragte sie interessiert und mir wurde bewusst, dass ich sie brutal ausgebremst habe. Es tat mir schon fast leid.

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»…schon 'ne Weile her. Reden wir nicht im Detail darüber. Das macht uns nicht jünger …« Sie kicherte.

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»Ich bin inzwischen zweifache Oma geworden und um Erfahrungen reicher … «, erzählte ich stolz. » Gesundheitlich geht es mir gut, aber meinen Eltern …«

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»Oh, ja! Das kenne ich… Lasse dich bloß nicht einspannen!! Du schaffst das nicht mehr in deinem Alter!! « schulmeisterte sie. Da war es wieder! Wie soll man in Ruhe und mit Würde älter werden, wenn man ständig auf die Unzulänglichkeiten hingewiesen wird? Gut, dass sie mich daran erinnerte. 

» Da hast du wirklich recht. Sprichst du sicher aus der eigenen Erfahrung … Sicher ist das Alter für dich nicht so leicht zu ertragen«.

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»… wieso für mich? Du bist doch älter! «

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Da hatte sie wieder recht. Gerade mal 5 Monate …

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» Ja, das stimmt, deshalb muss ich jetzt auflegen. Ich mache mich jetzt fertig«.

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» Fertig? Gehst du jetzt schon ins Bett? Senile Bettzipfelsehnsucht? Es ist doch gerade halb Acht …? «, fragte sie mit ironischem Unterton.

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»Na ja … In meinem Alter muss man doch auf sich besonders achten. Der Tango-Kurs fängt um Neun an und für das Make-up brauche ich etwas länger, um genauso gut auszusehen, wie das letzte Mal, wo wir uns sahen. Werde gleich abgeholt«.

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Ab und zu ruft sie noch an, um über ihre physischen und zwischenmenschlichen ›Altersbeschwerden‹ zu berichten.

Für das Altern braucht man stabile Gesundheit sehr viel Mut und Humor …

Ich gebe offen zu, dass ich das, noch vor nicht zu langer Zeit, belächelt habe. Inzwischen tue ich das nicht mehr, aber ich erinnerte mich an das Gebet einer berühmten spanische Nonne und Mystikerin des 16. Jahrhunderts. Dieses bekam ich irgendwann von einer älteren Dame … Daran habe ich gemerkt, dass schon damals das Altern für die Menschen problematisch war, aber machbar.

Gebet eines älter werdenden Menschen:

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»Oh Herr,

Du weißt besser als ich, dass ich von Tag zu Tag älter und eines Tages alt sein werde.

Bewahre mich vor der Einbildung, bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema etwas sagen zu müssen.

Erlöse mich von der großen Leidenschaft, die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen!

Lehre mich, nachdenklich (aber nicht grüblerisch), hilfreich (aber nicht diktatorisch) zu sein.

Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten und verleihe mir Schwingen, zur Pointe zu gelangen!

Lehre mich schweigen über meine Krankheiten und Beschwerden. Sie nehmen zu und die Lust, sie zu beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.

Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, mir die Krankenschilderungen anderer mit Freude anzuhören, aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen!

Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass ich mich irren kann!

Erhalte mich so liebenswert wie möglich.

Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken,

und verleihe mir oh Herr, die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen! «

Teresa von Ávila (1515-1582)

Spanische Mystikerin und Dichterin

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